Akademische Not

erstellt am: 08.08.2011 | von: wk | Kategorie(n): Bildungssystem

Als Lektorin sehe ich mit schöner Regelmäßigkeit alle möglichen Arten von wissenschaftlichen Arbeiten. Nur wenige sind gut geschrieben, die meisten halbwegs akzeptabel bis grottenschlecht. Das finde ich gar nicht so schlimm, auch wenn man von einem ‚Akademiker‘ erwarten können sollte, ein einigermaßen gutes Deutsch zu beherrschen und sich verständlich auszudrücken. Es ist halt nicht jedem gegeben, pointiert und treffsicher zu formulieren und sich mit sprachlicher Finesse zu profilieren.

Wäre es anders, würden wir Lektoren arbeitslos sein bzw. gleich ganz überflüssig.

Was mich aber wirklich erschreckt und geradezu entsetzt ist die Tatsache, dass unglaublich viele Angehörige der angehenden (oder sich bereits so fühlenden) Elite schlicht nicht in der Lage oder auch nicht willens sind, sich mit den grundlegendsten Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens zu beschäftigen.

Fußnoten? Korrekte und einheitliche Zitierweise? Anständiges Quellenverzeichnis?
Pustekuchen!

 

Karikatur: Gary Larson

 

Eine wissenschaftliche (Abschluss-)Arbeit muss nicht den Anspruch erfüllen, das Rad neu zu erfinden (Dissertationen mal ausgenommen), soll heißen: neue bahnbrechende Forschungserfolge werden nicht erwartet.

Aber es wird erwartet, dass sich der Diplomand mit einem Thema auseinandersetzt, Fragestellungen erarbeitet, die entsprechende Literatur hinzuzieht und eigene Schlussfolgerungen dokumentiert. Und das alles methodisch, strukturiert, nachvollziehbar und objektiv.Im Zuge dessen sind formale Vorgaben sinnvoll und deshalb zwingend zu beachten und umzusetzen. Zudem bieten sie ein grobes Arbeitsgerüst, das eher hilft als hindert.

Und genau für die Verwendung dieser Formalien benötigt man kein spezielles Talent, keine Neigungen oder Begabungen. Man muss nur lesen und verstehen, Einsicht in die Notwendigkeit haben und Sinn und Zweck begreifen.
Die meisten Universitäten haben entsprechende Seminare im Angebot und die Suche bei z. B. Google zeigt über 8 Millionen Ergebnisse.

Weshalb also scheint dieses Thema so vielen Studenten und Diplomanden solch enorme Probleme zu bereiten, sodass in der Folge Unsicherheiten, Unverständnis, Desinteresse bis hin zu Ablehnung und Ignoranz zu beobachten sind?

Und welche Schlüsse muss man ziehen, mit Blick auf Inhalte und das Niveau wissenschaftlicher Arbeiten, wenn schon relativ simple formale Richtlinien eine Anstrengung bedeuten und mitunter sogar zur Überforderung führen?

Wenn ich an unseren akademisch gebildeten Nachwuchs denke, geschieht das nicht mit farbenfroher Zuversicht, sondern eher in dumpfen Grautönen. Aber, und um weiter in Metaphern zu schwelgen: An so manch dunklem Horizont zeigt sich ein Silberstreif der Hoffnung. Hin und wieder … 😉

 

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